Problemstellung: Komplexität und Datenflut moderner Systeme
Moderne technische Systeme – von Fertigungsanlagen über Fahrzeuge bis hin zu Gebäuden – werden immer komplexer. Sie produzieren Unmengen an Daten, doch diese sinnvoll zu nutzen, ist eine Herausforderung. Häufig arbeiten Entwicklung, Produktion und Betrieb isoliert, sodass wichtige Informationen verloren gehen. Probleme wie ungeplante Ausfälle, ineffiziente Abläufe oder schwierige Entscheidungsfindungen entstehen, weil der aktuelle Zustand komplexer Anlagen nicht ganzheitlich erfasst und verstanden wird. Es besteht also die Notwendigkeit, alle relevanten Informationen zu vereinen und es so zu ermöglichen, ein System in seiner Gesamtheit besser zu überwachen, zu analysieren und vorausschauend zu steuern.
Lösung durch Digitale Zwillinge: Verbindung von realer und virtueller Welt
Ein Digitaler Zwilling kann diese Lücke schließen, indem er als virtuelles Gegenstück eines realen Systems dient. Mit einem Digitalen Zwilling lassen sich die Zustandsdaten und das Verhalten einer Maschine, Anlage oder sogar eines ganzen Produktionsprozesses in Echtzeit Digital abbilden und auswerten. Dadurch wird eine wissensbasierte und echtzeitfähige Entscheidungsfindung möglich. Vereinfacht gesagt: Der Digitale Zwilling sammelt fortlaufend Sensordaten seines physischen „Zwillings“ und aktualisiert damit ein Digitales Modell. So können Ingenieure und Entscheider jederzeit den Zustand des Systems erfassen, was dieses gerade tut und was als Nächstes passieren könnte. Potenzielle Probleme werden frühzeitig erkannt, Ausfälle können vorgebeugt werden, und Optimierungen lassen sich zuerst gefahrlos in der Simulation testen, bevor man sie im echten System umsetzt. Die Folge sind effizientere Abläufe, weniger Stillstandszeiten und fundiertere Entscheidungen im Betrieb.
Was ist ein Digitaler Zwilling?

Wir verstehen unter einem Digitalen Zwilling eine spezielle Softwarerepräsentation eines physischen Originals. Konkret besteht dieser Software-Zwilling aus Modellen des Systems sowie laufend erfassten Datenabbildern (sogenannten Digitalen Schatten), die regelmäßig aktualisiert werden. Hinzu kommt, dass der Zwilling Dienstleistungen anbietet, um mit dem Originalsystem zu interagieren – zum Beispiel Analysen oder Steuerungsfunktionen. Kurz gesagt: Ein Digitaler Zwilling ist die digitale Abbildung eines Systems. Er läuft parallel zum System und begleitet dieses über dessen gesamte Lebensdauer überwachend und steuernd.
Für Laien kann man sich den Digitalen Zwilling wie einen virtuellen Spiegel des realen Systems vorstellen. In diesem Spiegel sieht man stets den aktuellen Zustand der Maschine, da er durch Sensoren mit Echtzeitdaten „gefüttert“ wird. Doch der Zwilling kann noch mehr: Er kann Vorhersagen treffen, indem er Simulationen des zukünftigen Verhaltens durchführt, und sogar aktiv auf das Original einwirken, etwa indem er Steuerbefehle an die Anlage sendet. Wichtig ist, dass dafür im realen System mess- und steuerbare Elemente vorhanden sind – also Sensoren, die den Zustand melden, und Aktoren oder Schnittstellen, über die Eingriffe möglich sind. All dies zusammengenommen macht den Digitalen Zwilling zu einem vielseitigen Werkzeug, um komplexe Systeme im digitalen Raum verständlich und beherrschbar zu machen.
Beispiele aus Projekten mit Digitalen Zwillingen
Exzellenzcluster Internet of Production (IoP)
Digitale Zwillinge können eingesetzt werden, um komplexe Systeme besser zu verstehen und bereichsübergreifend zu optimieren (siehe Modellgetribene Entwicklung von Digitalen Zwillingen) . Wenn ein Gesamtsystem zu umfangreich oder zu vielfältig ist, um es vollständig digital abzubilden, bietet es sich an, mehrere spezialisierte digitale Abbilder zu schaffen, die jeweils bestimmte Fragestellungen oder Teilaspekte repräsentieren, und einen Digitalen Zwilling Bilden. Solche digitalen Abbilder können je nach Bedarf zwischen lokalen Systemen in unmittelbarer Nähe der physischen Anlagen und zentralen Plattformen in der Cloud hin- und hergeschoben werden, um Rechenressourcen optimal zu nutzen und Datenverkehr zu minimieren. So wird die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen verbessert, und Prozesse lassen sich effizienter und flexibler gestalten.
Digitaler Zwilling im Spritzguss-Verfahren
Ein weiterer Anwendungsfall für Digitale Zwillinge liegt in der Überwachung und Optimierung industrieller Produktionsprozesse. Hier kann ein virtuelles Modell einer Produktionsanlage sowohl den technischen Aufbau als auch das dynamische Verhalten des Prozesses nachbilden. Durch kontinuierliche Erfassung von Daten wie Temperaturen, Drücken oder Füllständen entsteht ein Echtzeitbild des laufenden Prozesses. Der Digitale Zwilling kann diese Informationen analysieren, frühzeitig Abweichungen erkennen und Vorschläge zur Prozessanpassung liefern. Zudem lassen sich verschiedene Parameter virtuell ausprobieren, um vorab zu prüfen, wie sich Änderungen auf Qualität oder Effizienz auswirken würden, ohne die reale Anlage zu belasten (siehe Process Prediction for DTs) . Auf diese Weise helfen Digitale Zwillinge, Produktionsprozesse stabiler, effizienter und ressourcenschonender zu gestalten.

Windkraftanlagen smarter steuern mit digitalen Cockpits
Auch bei der Überwachung und Steuerung technischer Anlagen im Energie- oder Infrastrukturbereich bieten sich Digitale Zwillinge an. Hier können sie als digitale Benutzeroberflächen dienen, die sämtliche Betriebsdaten einer Anlage in ein virtuelles Abbild übertragen (siehe Digital Twin Cockpit) . Betreiberinnen und Betreiber erhalten so einen umfassenden Überblick und können verschiedene Einstellungen oder Steuerungsmaßnahmen zunächst virtuell testen, um deren Auswirkungen auf Leistung und Lebensdauer der Anlage zu simulieren. Erkennt der Digitale Zwilling Optimierungspotenzial oder weist auf drohende Verschleißerscheinungen hin, können gezielt Maßnahmen eingeleitet werden. Dadurch lassen sich Betriebssicherheit und Wartungsplanung verbessern und die Anlagen insgesamt wirtschaftlicher und zuverlässiger betreiben.
Fazit und Ausblick: Potenziale Digitaler Zwillinge
Digitale Zwillinge haben sich als Schlüsseltechnologie herausgestellt, um die zunehmende Komplexität technischer Systeme zu meistern. Indem sie die reale mit der digitalen Welt verknüpfen, schaffen sie Transparenz über den Zustand von Maschinen und Prozessen in Echtzeit. Entscheidungen können auf Basis umfassender, aktueller Informationen getroffen werden, häufig unterstützt durch integrierte KI-Analysen und Simulationen. Die Beispiele aus verschiedenen Projekten zeigen, dass Digitale Zwillinge vielfältige Vorteile bringen: Von effizienterer Produktion und höherer Produktqualität über weniger Ausfallzeiten bis hin zu verbesserten Serviceleistungen durch vorausschauende Wartung. Wichtig ist dabei, dass der Digitale Zwilling immer einen konkreten Zweck verfolgt – sei es die Optimierung eines Fertigungsprozesses oder das Überwachen einer Anlage – und genau die dafür nötigen Daten und Modelle bereitstellt.
Der Blick über die Projekte hinaus lässt erahnen, welche weiteren Möglichkeiten Digitale Zwillinge bieten. In Zukunft könnten sie verstärkt in der Instandhaltung eingesetzt werden, um Wartungsbedarfe früh zu erkennen und Ersatzteile just-in-time bereitzustellen. Im Bereich der Smart Cities ließen sich Digitale Stadtzwillinge nutzen, um Verkehrsflüsse zu simulieren und urbane Infrastruktur effizienter zu betreiben. Sogar im Gesundheitswesen spricht man von Digitalen Zwillingen – hier oft “Digitaler Begleiter” genannt – die eines Tages personalisierte Medizin ermöglichen könnten, indem sie den Gesundheitszustand eines Patienten digital abbilden.
Zusammenfassend kann man sagen: Der Digitale Zwilling verbindet Daten und Modelle zu einem lebendigen Gesamtbild. Er macht das Unsichtbare sichtbar, das Komplexe beherrschbar und das Zukünftige vorhersagbar. Damit ist er ein entscheidender Baustein, um die Herausforderungen moderner Systeme zu bewältigen und neue innovative Lösungen zu schaffen – von der Fabrikhalle bis ins tägliche Leben.
Quellen: Die Informationen in diesem Beitrag basieren vor allem auf Veröffentlichungen und Projektberichten des Lehrstuhls für Software Engineering (SE-RWTH) sowie weiteren öffentlich zugänglichen Quellen. Diese geben einen Einblick in Forschung und Anwendung rund um Digitale Zwillinge ab 2018 und illustrieren, wie vielfältig dieses Konzept heute genutzt wird.
